Zur Dominanz des KI-Diskurses
Die Diskussion um das Thema Künstliche Intelligenz hat das Jahr 2023 in unserem Fachbereich dominiert wie kein anderes. Obwohl das Thema schon seit über 20 Jahren beforscht wird, hat die Zugänglichkeit von KI-basierten Diensten wie ChatGPT viele Fragen aufgeworfen und einige Hochschulen und Unternehmen haben bereits Chatbots oder schreibunterstützende Dienste in Ihren Arbeitsalltag integriert. Gleichzeitig stellen sich an Bildungsinstitutionen praktische Fragen der Zulässigkeit der Nutzung von KI-Diensten in Lehrveranstaltungen. Zudem umtreibt Lehrende die Frage, welche Implikationen die Zugänglichkeit von KI auf Prüfungsformen und Prüfungsformate hat. Die Macht, mit der dieser Diskurs in unsere Arbeitskontexte hineindrängt, macht nachdenklich: Ein einziges Unternehmen aus dem Silicon Valley mit unklaren Zielen bestimmt den Diskurs im Bildungsbereich in vielen Ländern? Gäbe es im Zeichen von Kriegen, Naturkatastrophen und globaler Ungleichheit und fehlender Chancengerechtigkeit nicht dringendere Themen, auf die wir uns konzentrieren sollten? Auf wissenschaftlichen Konferenzen werden diese neuen Optionen zur Exploration von KI gerne angenommen und es werden Forschungsergebnisse publiziert, die nach wenigen Wochen schon veraltet sind, weil OpenAI eine neue Version veröffentlicht hat. Passt das zur Freiheit der Wissenschaft?
Auf der anderen Seite werden große Hoffnungen in die Nutzung von KI-basierten Systemen gesetzt. Die Internationale Gesellschaft für die Nutzung von KI in der Bildung, die schon seit 1997 besteht, hat als Vision formuliert, dass jede:r Lernende einen eigene:n KI-basierte:n Tutor:in haben sollte. Tatsächlich liegen auch viele Chancen zur Verbesserung der aktuellen großen gesellschaftlichen Herausforderungen in der Nutzung von KI. Zudem ergeben sich für unseren Bereich neue Möglichkeiten für die Produktion von (multilingualen) Lerninhalten. Diese Optionen können aber nur exploriert werden, wenn wir uns darüber austauschen, was denn eine ethisch verantwortliche Nutzung von KI im Bildungssystem ist und sein kann. Für individuelle Lernprozesse ist die Nutzung einer KI ein zweischneidiges Schwert: Ohne Vorwissen und ohne Prüfung der durch die KI produzierten Ergebnisse kann die Chance zur Entwicklung von eigenen kognitiven Strukturen verkürzt werden und Fachzusammenhänge können falsch verstanden werden. Für Lernende mit Vorwissen und metakognitiven Fähigkeiten kann eine KI zum weiteren Ausbau der kognitiven Strukturen führen. Ein ist gewiss: Die KI kann uns den Lernprozess nicht abnehmen und wer sich durch ein Studium mit KI-produzierten Hausarbeiten schummelt, wird am Ende erfahren, dass man Wissen in der Praxis nur schwer vorgaukeln kann.
Hieraus ergibt sich eine weitaus größere epistemische Fragestellung, für die die Hochschulen genau der richtige Ort sind: Unter welchen Bedingungen wird in unserer Gesellschaft Wissen produziert, verifiziert und falsifiziert? Mit welchen Kriterien wollen wir in Zukunft Informationen beurteilen und in Wissen umwandeln? Welche Rolle sollen wissenschaftliche Fakten in einer demokratischen Gesellschaft spielen? Es bleibt spannend und wir werden diesen Themen auch im Rahmen von ELMEB mit Ihnen intensiv diskutieren.